Dr. Cord Brügmann zu Legal Tech in Afrika

  • von Anke Stachow
  • 22 Juli, 2019

„Es gibt dort eine lebendige Legal Tech-Szene“

Ohne ein funktionierendes Rechtssystem kann sich die Wirtschaft in einem Land nicht entwickeln. Die Förderung einer unabhängigen und unbestechlichen Justiz in den Entwicklungsländern ist deshalb auch ein Anliegen der deutschen Entwicklungspolitik. Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann, ehemaliger Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV), engagiert sich für die International Bar Association in diesem Bereich. Auf dem Anwaltszukunftskongress in Köln wird er darüber sprechen, welche wichtige Rolle Legal Tech beim Zugang der Bürger zum Recht in Entwicklungs- und Schwellenländern spielt.


Welche Projekte führen Sie derzeit nach Äthiopien?

Brügmann: Vorwiegend die Unterstützung der äthiopischen Anwaltschaft und des dortigen Justizministeriums beim Entwurf eines Gesetzes, das den Anwaltsberuf modernisieren und die Anwaltschaft unabhängig machen soll. Das mache ich für die International Bar Association, die globale Dachorganisation aller Anwaltskammern und -verbände. Bisher werden Anwältinnen und Anwälte unmittelbar vom Staat verwaltet; sie müssen jedes Jahr um eine Re-Lizensierung nachsuchen. In der Vergangenheit wurde das genutzt, um unliebsame Anwälte mundtot zu machen. Heute – unter einer neuen Regierung – soll die Gesellschaft geöffnet werden für Demokratie und Rechtsstaat; und da will die Regierung den Anwälten die Möglichkeit geben, sich weitgehend selbst zu verwalten. Aber neben der Berufsaufsicht ist auch die Modernisierung der Rahmenbedingungen für anwaltliches Arbeiten nötig; bisher können Anwälte in Äthiopien sich beispielsweise nicht zu Kanzleien zusammenschließen.

 
Welche Bedeutung kommt Legal Tech in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu?

Brügmann: Der Zugang zu Rechtsinformationen ist ein Hauptproblem. Das gilt für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Gerichte und Anwälte. Bis heute ist es schwierig, Gesetzestexte und Urteile der obersten Gerichte zu bekommen, um auf Basis des geltenden Rechts gut zu beraten oder zu entscheiden. Digitale Kommunikation kann da immens helfen.

 
Können Sie Beispiele für erfolgreiche Legal Tech-Anwendungen in diesen Ländern nennen?

Brügmann: Ich beschränke mich auf Afrika: In Äthiopien denke ich an einen Anwalt, der schon als Student begonnen hat, Gesetzestexte mit einem kleinen Handscanner zu erfassen und in einer selbst programmierten Datenbank systematisch abzulegen. Kürzlich hat er begonnen, auch obergerichtliche Rechtsprechung in eine Datenbank aufzunehmen und auf einer Website sowie auf USB-Sticks (das Internet funktioniert häufig nicht in Äthiopien) zur Verfügung zu stellen. Er ist ein Legal-Tech-Pionier in Ostafrika, dessen Produkte mittlerweile auch vom Obersten Gerichtshof des Landes genutzt werden.

 
Wie sieht das in anderen Ländern aus?

Brügmann: In Afrika gibt es eine lebendige Legal-Tech-Szene, von der ich auch beim Anwaltszukunftskongress im Oktober in Köln berichten werde. Die Startups in Afrika sind unglaublich kreativ, erfindungsreich und haben sowohl die Business-Community als auch die Bevölkerung im Blick, die mit Rechtsinformationen unterversorgt ist. Ein Beispiel: He Lawyer aus Benin, ein Chatbot für diverse Rechtsfragen. Oder Gavel aus Nigeria – das ist ein Tech-Startup, das Untersuchungshäftlingen hilft, ihren Fall zu beschleunigen, durch Transparenz, die mithilfe von Technologie hergestellt wird und mit Pro-Bono-Anwälten. Oder nehmen Sie das nigerianische Startup Farmworkerzapp, das Feldarbeiter und Arbeitgeber zusammenbringt und auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards achtet. Zuletzt: Barefootlawyer aus Uganda, die das Ziel verfolgen, die Bevölkerung mit kostenlosen Rechtsinformationen zu versorgen und dabei einen Schwerpunkt auf besonders verletzliche Menschen legen.


Welches sind die größten Hindernisse, die Legal Tech-Start-ups in diesen Ländern überwinden müssen?

Brügmann: In einigen Ländern ist die technische Infrastruktur noch nicht so weit, dass digitale Angebote flächendeckend und 24/7 genutzt werden können. In anderen Ländern stehen digitale Angebote in Konkurrenz zu jahrhundertealter traditioneller Rechtsvermittlung und Streitschlichtung. Natürlich sehen etablierte Akteure auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt Legal Techs auch als Konkurrenz. Aber ehrlich gesagt ist das nichts, was wir nicht auch kennen. Und vielleicht ist es in nicht ganz so stabilen Gesellschaften sogar einfacher, disruptiv zu sein, weil nicht so viele Widerstände überwunden werden müssen und weil der Bedarf nach schnellen und günstigen Rechtsdienstleistungen noch viel deutlicher auf der Hand liegt.

 
Gibt es bereits einen Austausch oder Kooperationen zwischen der Legal Tech-Szene in den westlichen Industrienationen und der in den Entwicklungsländern?

Brügmann:  Vereinzelt ja. Aber ich sehe hier noch ein großes Potential in den Wachstumsmärkten Afrikas. Das gilt für den Austausch von Know-How, aber auch für Investoren. In der Entwicklungszusammenarbeit ist Rechtsstaatsförderung bisher in vielen Ländern rückständig, auch weil das Potential der Digitalisierung noch nicht gesehen wird. Und natürlich ist es auch im deutschen und europäischen Interesse, für Business in Afrika stabile rechtliche Strukturen zu fördern. Das macht Afrika für Investoren aus dem Legal-Tech-Bereich interessant.






von Anke Stachow 4. Oktober 2021

Welche Bedeutung die Digitalisierung in ihrer Rechtsabteilung hat – darüber spricht Mareike Petrowitsch, SVP Legal & Corporate Development und General Counsel der Urban Sports GmbH, in dem Workshop „Best demonstrated Practises aus Kanzleien und Rechtsabteilungen“ auf dem diesjährigen Anwaltszukunftskongress.

Urban Sports ist nach eigenen Angaben Europas führende Sport- und Wellnessplattform, die seit 2012 operativ tätig ist. Urban Sports bietet eine flexible Sport-Flatrate für Firmen- und Privatkunden, die das Angebot von über 12.000 Sport- und Wellnesspartnern in Deutschland und in sechs anderen europäischen Ländern nutzen können.

 

Wie sieht die Rechtsabteilung von Urban Sports aus?

Mareike Petrowitsch: Eine Rechtsabteilung gibt es im Unternehmen erst seit 2020. Zuvor war ich bei der Food-Delivery-Plattform Delivery Hero und der E-Learning-Plattform Babbel, wo ich zuvor die Rechtsabteilungen aufbaute, bevor ich zu Urban Sports gewechselt bin. Unser derzeitiges Team besteht aus zwei Volljurist*innen, einem Wirtschaftsjuristen und Projektleiter sowie einer Assistentin. Darüber hinaus kommen auch immer wieder eine zeitlang Praktikanten oder Rechtsreferendare zu uns.

 

Welche Rolle spielt Legal Tech in der Rechtsabteilung?

Mareike Petrowitsch:  Wir sind eine kleine zentrale Rechtsabteilung und natürlich sind wir auch mit dem Problem „more for less“ konfrontiert. Ein zentrales single-source-of-truth System ist daher business-kritisch und für eine Datenhoheit notwendig, auch damit zukünftige Prozesse effizienter laufen. Das bauen wir gerade auf und dabei spielt Legal Tech eine große Rolle.

 

Welche Tools haben Sie implementiert?

Mareike Petrowitsch:  Wir haben ein Tool für das komplette Legal Management implementiert und befüllen es gerade mit allen relevanten Daten. Das ist zurzeit anstrengend und ressourcen-intensiv, langfristig aber sinnvoll. Es handelt sich um eine Cloud-Softwarelösung, die speziell für Rechtsabteilungen entwickelt wurde. Sie basiert auf einem Baukastensystem, das unsere Vorgaben und Anforderungen berücksichtigt. Beim Aufbau unserer Rechtsabteilung ist es uns sehr wichtig, dass wir die Souveränität über alle Daten im Unternehmen haben, die eine rechtliche Relevanz besitzen. Sie werden nun an einem zentralen Ort abgelegt.

 
Inwiefern erleichtert Ihnen dieses System die tägliche Arbeit?

Mareike Petrowitsch:  Die Software ist mehr als eine moderne Ablage. Es bietet viele verschiedene Filtermöglichkeiten, so dass wir die Informationen, die wir benötigen, schnell zur Hand haben. Das erleichtert zum Beispiel auch die Arbeit für Transaktionen, wie zum Beispiel die Finanzierungsrunden mit Investoren. Außerdem können wir festlegen, wer außerhalb der Rechtsabteilung ebenfalls Zugriff auf die Daten hat, zum Beispiel die Gesellschafter oder externe Anwält*innen. Das System kann zudem verschiedene Workflows vorgeben, beispielsweise wie Verträge geprüft, verhandelt, unterzeichnet und abgelegt werden. Künftig wollen wir auch wiederkehrende Anfragen und Aufgaben damit erledigen. So stellen wir uns zum Beispiel vor, dass Mitarbeiter eine Standard-Vertraulichkeitsklausel selbst mit der Softwarelösung erstellen können.

 

Wie gehen die Mitarbeiter damit um? Gibt oder gab es Akzeptanzprobleme?

Mareike Petrowitsch:  Für die Arbeit mit dem System ist es auch sehr entscheidend, dass die Datenqualität gut ist. Es muss also mit den richtigen Daten gefüttert werden und das macht viel Arbeit. Da es bis vor kurzem noch keine Rechtsabteilung im Unternehmen gab, hatte jede Fachabteilung ihre eigene Ablage – überall sind also noch Verträge vorhanden. Die Mitarbeiter aus den anderen Abteilungen verstehen aber zunehmend, dass sie alle Verträge an uns weiterleiten müssen, wenn wir nicht ohnehin schon vorher involviert sind. Das ist ein Lernprozess und muss auch mit Change Management begleitet werden. Dafür müssen wir nicht nur das Management, sondern auch die Mitarbeiter abholen und ihnen erklären, was wir vorhaben, wie die Vision aussieht und warum dieser Prozess für alle sinnvoll ist. Wenn man etwas nur anordnet, würde vermutlich nicht ausreichend viel passieren und niemand hätte Motivation uns zu unterstützen.

 

Wie erreichen Sie das?

Mareike Petrowitsch:  Wir verstehen uns als serviceorientierte Rechtsabteilung. Wir sind alle sehr kommunikativ. Wir wollen den anderen Abteilungen nicht im Wege stehen, sondern rechtlich begleiten. Wir wollen Dinge nicht verhindern, sondern sie vorantreiben. Darin sehen wir unsere Aufgabe und das transportieren wir auch im Unternehmen.

 

Die vorhandenen Datenbestände in ein neues System einzupflegen, bereitet viel Arbeit. Viele schrecken davor zurück. Wie ist das in Ihrer Rechtsabteilung?

Mareike Petrowitsch:  Die Dateneingabe ist wirklich eine anstrengende und eher langweilige Arbeit, auch wenn wir viel dabei lernen. Aber sie ist sehr wichtig, damit nachher die Qualität stimmt. Wir planen regelmäßig einen „Data-filling-day“, an dem wir uns ausschließlich nur um die Dateneinspeisung und die Datenqualität kümmern. Dabei geben wir uns alle Mühe, diese Arbeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir haben zum Beispiel Playlisten über spotify zusammengestellt, um gemeinsam die gleiche Musik hören zu können und wir essen zusammen zu Mittag - meist alles remote aus dem Homeoffice. Auf diese Weise sind wird die ganze Zeit zumindest digital zusammen, können uns unterstützen und gegenseitig bei Problemen und Fragen helfen. Das hat bislang prima funktioniert!

 

von Frederick Assmuth 21. September 2021
Dr. Marc Maisch ist Fachanwalt für IT-Recht und berät bundesweit zu allen Fragen des Datenschutz- und Internetrechts, insbesondere im IT-Vertragsrecht. Mit seinem Partnernetzwerk unterstützt er die Ermittlung, Abwehr und Prävention von Cybercrime aller Art und hält Mitarbeiter-Schulungen. Er gehört zu der Expertengruppe Blackstone432.de und ist bekannter Keynote-Speaker, Dozent, u.a. für den Münchener AnwaltVerein e.V., die Vogel-IT-Akademie und für den Studiengang „Cyber Risk & Security“ an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, und Fachbuchautor.

Herr Dr. Maisch, kürzlich gab es wieder einen Cyberangriff auf eine Großkanzlei. Auch andere hat es schon erwischt. Was haben solche Attacken für Hintergründe?

Cyberkriminelle haben in der Regel Bereicherungsabsichten. Die Täter verschicken E-Mails mit bösartigem Inhalt ziellos im Internet. Schon ein unbedachter Mausklick eines Mitarbeiters kann genügen, um den Schadcode – vom Antivirusprogramm unbemerkt! – herunterzuladen. Die Angriffsstrategie hat sich verändert: Während früher die Erpressung durch Verschlüsselung von Systemen im Vordergrund stand, ist heute die sogenannte „Double Extortion Ransomeware“ im Trend: Die Täter stehlen zusätzlich zur Verschlüsselung noch Daten, von denen sie meinen, dass deren Veröffentlichung einen hohen (Reputations-)Schaden verursachen würde.

 Neben großen Unternehmen („Big Game Hunting“) stehen Anwaltskanzleien ganz oben auf der Wunschliste der Täter. Schließlich ist der Schutz von Mandantengeheimnissen nicht nur Berufspflicht, sondern auch Voraussetzung für die Beauftragung. Cyberangriffe auf Anwaltskanzleien können aber auch das Mittel zum Zweck sein, um leichter an sensible Informationen eines Mandanten zu gelangen, der seine eigene IT-Infrastruktur zur Festung ausgebaut hat.


Wie können sich Unternehmen, aber auch kleinere Kanzleien gegen solche Angriffe schützen?

Ransomeware-Angriffe sind brandgefährlich! Wer sich gegen diese Angriffe schützen will, muss sich beraten lassen: In puncto IT-Sicherheit sollte eine Risikoanalyse der wichtigsten Assets der Kanzlei, z.B. Schutz der Mandantendaten, im Vordergrund stehen. In Bezug auf diese Assets können Cyberangriffe nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensumfang bewertet werden, um das IT-Sicherheitskonzept bestmöglich abzustimmen und umzusetzen.  

Wer nachts ruhig schlafen möchte, darf den „Faktor Mensch“ nicht außer Acht lassen. Denn das größte Sicherheitsrisiko sitzt meist nur 30 cm vom Bildschirm entfernt. Regelmäßige Test-Phishing-Emails an alle Mitarbeiter, mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und in Wellen, eine Auswertung und (anonymisierte!) Besprechung der Resultate sind essenzieller Bestandteil der Prävention. Praxisnahe Trainings am Beispiel des Arbeitsablaufs der Kanzlei, Awareness-Schulungen im Bereich Cybercrime und Notfall-Management („Was mache ich wenn ich eine verdächtige E-Mail bekommen habe?“) gehören zum Pflichtprogramm jeder Anwaltskanzlei, die in Zukunft bestehen bleiben will.


Cyberkriminelle sind anscheinend immer einen Schritt voraus… Womit müssen wir in Zukunft rechnen?

Es vergeht kein Tag, an dem ein Unternehmen nicht Opfer einer Cyberattacke wird. Die Häufigkeit der Angriffe nimmt immer weiter zu. Je besser größere Unternehmen ihre IT-Sicherheit ausgestalten, desto häufiger geraten kleinere Unternehmen und Berufsgeheimnisträger ins Fadenkreuz der Täter. Da sich leider viele Kolleginnen und Kollegen auf die Standardlösungen ihrer Systemhäuser verlassen, erwarte ich für die nächsten Jahre einen rapiden Anstieg von IT-Sicherheitsvorfällen in Anwaltskanzleien. Neben Ransomeware-Angriffen werden auch Fälle von Identitätsmissbrauch, Datendiebstahl oder der Missbrauch von Mahnverfahren zur Titulierung unberechtigter Forderungen zunehmen.

 

Wie bleiben Sie in Sachen Darknet & Cybercrime auf dem Laufenden?

Täglich erreichen uns neue Hilferufe aus dem Bereich von Cybercrime. Durch die enge Zusammenarbeit mit IT-Forensikern, Ermittlern und Strafverfolgungsbehörden bleibe ich - berufsbedingt - immer am Puls der Zeit. Kolleginnen und Kollegen empfehle ich, sich regelmäßig über das Nachrichtenportal www.heise.de und unseren Datenklau-Hilfe-Blog https://www.datenklau-hilfe.de/blog/ zu informieren. Cybercrime-Schulungen für Rechtsanwälte und Mitarbeiter können helfen, sich vertieftes Wissen anzueignen und weitere Maßnahmen zu planen.



von Anke Stachow 14. September 2021

Am 1. Oktober 2021 wird das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (kurz: Legal Tech-Gesetz) in Kraft treten. Das Gesetz soll für fairere Wettbewerbsbedingungen zwischen Legal Tech-Anbietern und der Anwaltschaft sorgen. Mit seinem In-Kraft-Treten dürfen zum Beispiel Anwältinnen und Anwälte bei Geldforderungen bis zu 2000 Euro ein Erfolgshonorar vereinbaren. Inkassodienstleiter und damit auch die Legal Tech Unternehmen, die auf der Basis einer Inkassolizenz arbeiten, müssen Registrierungs- und Informationspflichten erfüllen.

Auch nach der Verabschiedung bietet das Gesetz viel Diskussionsstoff. Auf dem diesjährigen Anwaltszukunftskongress, der am 14. und 15. Oktober als Digitalkonferenz stattfindet, wird Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann mit der Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, darüber diskutieren.

 
Sie sind ein Befürworter des Legal Tech-Gesetzes. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür?

Prof. Dr. Volker Römermann: Es ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung, eine leichte Liberalisierung der streng, im Grunde überregulierten Anwaltschaft. Mehr schafft dieses Gesetz erst einmal nicht, aber auch nicht weniger.

 
Das Gesetz will für mehr Waffengleichheit zwischen Anwaltschaft und Legal Tech Unternehmen sorgen, die auf Basis einer Inkassolizenz arbeiten. Glauben Sie, dass dieses Ziel damit erreicht wird?

Prof. Dr. Volker Römermann: Nein, das glaube ich nicht. Es sorgt allenfalls für einen Hauch von Waffengleichheit, denn vieles bleibt der Anwaltschaft nach wie vor verboten, zum Beispiel die Prozessfinanzierung. Auch fremde Investoren darf es in Rechtsanwaltskanzleien weiterhin nicht geben. Aber die Entwicklung wird weitergehen. Das zeigt die Entschließung des Bundestages zur Verabschiedung des Gesetzes. Sie enthält Arbeitsaufträge an die zukünftige Bundesregierung, die bis zum 30. Juni 2022 umzusetzen sind. Dabei geht es vor allem darum zu überprüfen, was die leichten Öffnungen in der Praxis bewirken.

 
Was müsste nach Ihrer Ansicht auf jeden Fall nachgebessert werden?

Prof. Dr. Volker Römermann: Der Gesetzgeber muss überall nachjustieren. Die Möglichkeit, Erfolgshonorare zu vereinbaren, muss auf jeden Fall erweitert werden. Die derzeitige Obergrenze von 2000 Euro bei Geldforderungen ist doch vollkommen willkürlich gewählt! Außerdem sollte der Anwaltschaft auch die Prozessfinanzierung erlaubt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kapitalbeteiligung von Investoren. Die Anwältinnen und Anwälte stehen in direktem Wettbewerb zu den Legal Tech Unternehmen, die über richtig viel Geld verfügen und damit ihr Geschäft ausbauen können. Ich verstehe nicht, warum der Gesetzgeber die Anwaltschaft so viel skeptischer beäugt als „normale“ Gewerbetreibende.


Kritiker der Reformen wie die Bundesrechtsanwaltskammer argumentieren, dass die Rechtsdurchsetzung über Inkassodienstleister letztlich für den Verbraucher teurer ist, weil er beim Anwalt im Erfolgsfall gar nichts bezahlen muss. Wie sehen Sie das?

Prof. Dr. Volker Römermann: Die bisherige Praxis hat doch gezeigt, dass Verbraucher bei kleineren Streitwerten gar nicht geklagt haben, weil sie das Risiko scheuen. Sie wollen, dass ihr Problem gelöst wird, ohne dass sie damit etwas zu tun haben. Für diese Dienstleistung sind sie auch bereit, etwas zu zahlen. Ich finde zudem diese Argumentation „wer im Recht ist, der soll auch keine Kosten haben“ etwas blauäugig. In der Wirklichkeit ist ein Prozessausgang bei Weitem nicht immer von vornherein kalkulierbar. Das zeigt sich schon daran, dass die verschiedenen Instanzen häufig jeweils anders entscheiden. Ein System, in dem jeder einen Teil der Rechtsdurchsetzungskosten trägt, halte ich deshalb nicht von vorneherein für moralisch verwerflich. Der Zugang zum Recht wird durch ein Erfolgshonorar deutlich erleichtert. Das beweisen schon die im Markt anzutreffenden Beispiele.

von Steffen Martini 7. September 2021

Bereits zum dritten Mal in Folge hat Wolters Kluwer eine globale Studie unter 700 Juristen aus den USA und neun europäischen Ländern durchgeführt. Zentrale Erkenntnis der Future Ready Lawyer Studie in diesem Jahr: Die COVID-19-Pandemie hat die digitale Transformation des Rechtsmarkts weiter beschleunigt, Trends und Prioritäten haben sich erneut verstärkt. Bernhard Münster , Business Manager Legal Digital bei Wolters Kluwer, und Aswin Parkunantharan , Direktor Segment Rechtsabteilungen bei Wolters Kluwer, geben auf dem Anwaltszukunftskongress am 15. Oktober 2021 ausgiebige Einblicke in die Ergebnisse der Future Ready Lawyer Studie 2021 .


Inwiefern hat sich der Bedarf von digitalen Technologien auf dem Rechtsmarkt durch die Pandemie verändert?

Bernhard Münster: Durch unsere aktuelle Future Ready Laywer Studie wissen wir, dass der Technologiebedarf bei den Juristen durch die Pandemie gestiegen ist – 80 Prozent der Befragten bestätigen diese Entwicklung. Die digitale Transformation und die hierbei unterstützenden Technologien stellen zukünftig also die Schlüsselfaktoren für verbesserte Leistung, Effizienz und Produktivität dar.

Aswin Parkunantharan: Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Rechtsabteilungen. Auch diese sehen technologische Lösungen heute mehr denn je als wichtige Investition in die Zukunft. Sei es, um die eigenen Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten oder insgesamt deutlich kunden- und mandantenorientiertere Services und Ergebnisse bieten zu können. Zusammenfassend kann man sagen: Der digitale Wandel des Rechtsmarkts wurde durch die Pandemie weltweit beschleunigt! Allerdings zeigt die Studie auch, dass Juristen ihre Organisation in den meisten Fällen noch nicht ausreichend auf die steigende Bedeutung von Legal Technology vorbereitet sehen.

Wie werden sich Kanzleien in Zukunft digital aufstellen?

Bernhard Münster: Die Mehrheit aller Kanzleien geht davon aus, dass sich die Art und Weise, wie sie ihre Services erbringen, grundsätzlich ändern wird. Was heißt das konkret? Eine stärkere Spezialisierung von angebotenen Rechtsdienstleistungen ist zu erwarten. Darüber hinaus wird mehr Technologie zur Produktivitätsverbesserung eingesetzt und ein klarer Fokus auf Innovationen gelegt. Elektronische Unterschrift, Automatisierung von Dokumenten- und Vertragserstellung sowie Kollaboration- und Cloud-Lösungen stehen auf der Liste der kurzfristigen digitalen Verbesserung. 63 Prozent der Kanzleien geben in der Umfrage an, ihre Investitionen in Technologien erhöhen zu wollen.

Welche Herausforderungen kommen auf Rechtsabteilungen zu?

Aswin Parkunantharan: Die Pandemie hat den Druck auf die Rechtsabteilungen erhöht, da sie gleichzeitig mit einer größeren Arbeitsbelastung und kleineren Budgets zu kämpfen haben. In unserer Studie zeichnen sich vor allem drei Herausforderungen ab, mit denen sich Rechtsabteilungen konfrontiert sehen. Dazu zählen die Automatisierung von Routineaufgaben sowie der Einsatz von Technologien in Arbeitsprozessen, die Reduzierung bzw. die Kontrolle der externen Rechtskosten, aber auch die grundsätzliche Bewältigung der wachsenden Anforderungen. Um diese Schwierigkeiten zu meistern, planen 57 Prozent der Rechtsabteilungen in den nächsten drei Jahren verstärkt in Technologie zu investieren. Das sind immerhin sechs Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Doch der Wandel bringt auch Unsicherheit: Weniger als ein Drittel sagt, dass sie sehr gut darauf vorbereitet sind, transformative Technologien in ihren Rechtsabteilungen einzuführen.

Hat die Digitalisierung auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen Kanzleien und Rechtsabteilungen?

Bernhard Münster: Ja, die Bedeutung des digitalen Austauschs zwischen Kanzleien und Rechtsabteilungen nimmt weiterhin zu. Kanzleien müssen sich darauf einstellen, dass sie verstärkt nach dem Einsatz von Technologie gefragt werden und Mandanten/Rechtsabteilungen in Zukunft erwarten werden, dass entsprechende digitale Lösungen im Einsatz sind.

Aswin Parkunantharan: Über 80 Prozent der Rechtsabteilungen geben in unserer Studie an, dass der umfassende Einsatz von Technologie durch ihre derzeitige Kanzlei für sie von Bedeutung ist.

Bernhard Münster: Folglich werden auf dem Rechtsmarkt die Kanzleien einen Vorteil haben, die aus sich selbst heraus den Weg in die Digitalisierung gehen und die nahtlose Verknüpfung von Kanzlei- und Mandatsmanagement definieren und aktiv angehen.

Bernhard Münster ist Business Manager bei Wolters Kluwer Deutschland und leitet die Abteilung Legal Digital. Aswin Parkunantharan ist bei Wolters Kluwer Deutschland im Geschäftsbereich Legal Software zuständig für das Segment Rechtsabteilungen. Gemeinsam gestalten sie mit ihren Teams die Zukunft des Rechtsmarkts mit digitalen Lösungen für Kanzleien, Rechtsabteilungen und die Öffentliche Verwaltung. Beide werden am 15. Oktober 2021 um 09:40 Uhr die Ergebnisse der Future Ready Lawyer Studie 2021 auf dem Anwaltszukunftskongress vorstellen.

  Weitere Informationen zur Future Ready Lawyer Studie gibt es hier.

von Anke Stachow 19. August 2021

Auf Erinnerungen ist kein Verlass. Das hat die Psychologin, Bestsellerautorin und Gründerin Dr. Julia Shaw in Gedächtnis-Experimenten herausgefunden, die nicht nur in Wissenschaftskreisen für viel Aufsehen gesorgt haben. Am University College London forscht sie im Bereich Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstliche Intelligenz. Auf dem diesjährigen Anwaltszukunftskongress wird sie in ihrem Vortrag „Die Zukunft der Erinnerung – Tipps und Tricks einer Memory Hackerin“ beweisen, dass Erinnerungen keineswegs fest gefügt sind.

Kann man Erinnerungen hacken? Wie funktioniert das?

Dr. Julia Shaw:  Erinnerungen lassen sich verändern – absichtlich oder unabsichtlich. Es ist auch möglich, völlig falsche Erinnerungen an Begebenheiten einem Menschen „einzupflanzen“. Das beweisen meine Studien. Ich nutze dazu „echte“ Erinnerungen meiner Studienteilnehmer: Ich erwähne zum Beispiel die Namen ihrer engen Freunde oder die anderer Kontaktpersonen, beispielsweise von Zeugen. Dadurch gewinne ich das Vertrauen der Personen. Über suggestive Fragen kann ich ihre Erinnerungen ganz gezielt manipulieren und sogar ganz neue Erinnerungen bei ihnen hervorrufen – zum Beispiel an Dinge, die nie stattgefunden haben, bis hin zu Straftaten, die sie nie begangen haben.

Welche Bedeutung haben Ihre Forschungsergebnisse, zum Beispiel für Verhöre von Tätern oder Zeugen oder für andere Ermittlungen?

Dr. Julia Shaw:  Das hat schon eine große praktische Relevanz . Ich berate zum Beispiel die britische Polizei, die Deutsche Bundeswehr, aber auch Anwälte und Unternehmen. Es geht zum einen darum, bei Ermittlungen die richtigen Fragen zu stellen, zum anderen aber auch Methoden zu vermitteln, wie man sich verlässlich erinnern kann. Wenn ich mit Anwälten zusammenarbeite, analysiere ich häufig, wie es zu den Erinnerungen und Aussagen gekommen ist. Was für Fragen wurden gestellt? Welche psycho-sozialen Aspekte können dabei eine Rolle gespielt haben?

Inwieweit kann Künstliche Intelligenz dazu beitragen, dass Zeugen oder andere Informanten sich verlässlich oder richtig erinnern?

Dr. Julia Shaw:  Künstliche Intelligenz kann dem Gehirn, den Erinnerungen auf die Sprünge helfen. Sie muss so programmiert sein, dass sie keine Annahmen oder bestimmte Wertvorstellungen enthält. Sie wird so trainiert, dass damit sehr schnell die richtigen Fragen gestellt werden können. Bei Ermittlungen ist es zum Beispiel sehr entscheidend, dass Befragungen zeitnah zum Ereignis erfolgen. Erinnerungen verblassen nicht nur, sie verändern sich auch.

Sie haben 2017 im Silicon Valley das Start-up SPOT gegründet. Was leistet SPOT?

Dr. Julia Shaw:  Mit SPOT wollen wir gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen. Es handelt sich dabei um einen Chatbot, der mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz den Sachverhalt ermittelt. Betroffene können anonym auf die Missstände hinweisen. Unternehmen unterschiedlichster Größe in Deutschland, England, Frankreich und Spanien haben bereits das Tool für ihre Personalabteilungen angeschafft. Ziel ist es, die Mitarbeiter schneller und besser vor Diskriminierung oder sexueller Belästigung zu schützen.

Sprechen Betroffene denn lieber mit einer Maschine als mit einem Menschen?

Dr. Julia Shaw:  Betroffene wenden sich vielleicht an Bezugspersonen aus ihrem privaten Umfeld, aber nicht an diejenigen, die an ihrer Situation etwas ändern könnten, zum Beispiel Vorgesetzte. Manchmal halten sie dann eine Kündigung für den einzigen Ausweg. Die Unternehmen verlieren dadurch wertvolle Mitarbeiter. Durch SPOT können die Unternehmen frühzeitig gewarnt werden, wenn etwas nicht stimmt.

Birgt ein solches „Whistleblower-System“ nicht auch die Gefahr, dass falsche Anschuldigungen erhoben werden, um jemanden „wegzumobben“?

Dr. Julia Shaw:  Nein, diese Gefahr besteht nicht, weil die Fragen sehr sachlich und gezielt gestellt werden. Das schreckt vom Lügen ab.

von Anke Stachow 13. August 2021
Unter dem Motto „Legal Tech – eine Frage der Vielfalt“ widmet sich der 6. Anwaltszukunftskongress am 14. und 15. Oktober 2021 der Digitalisierung des Rechtsmarkts aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die Veranstalter, der Kanzleispezialist Soldan und Wolters Kluwer Deutschland, führender Anbieter von Fachinformationen, Software und Services im Bereich Recht, Wirtschaft und Steuern, führen die Fachkonferenz wie bereits im Vorjahr virtuell durch und haben erneut namhafte Referenten gewinnen können.

Dr. Julia Shaw, Psychologin und Bestsellerautorin, spricht über ihre Forschungen zu Rechtspsychologie, Erinnerungen und der Bedeutung Künstlicher Intelligenz. Dr. Pietro Brambilla, Head of Digital Transformation in der Rechtsabteilung der Daimler AG, legt dar, wie wichtig die Unternehmenskultur für eine erfolgreiche Digitalisierung ist. Eine Diskussionsrunde zur Digitalisierung der Justiz und ein Streitgespräch zum neuen Legal Tech Gesetz runden den ersten Konferenztag ab, ehe Dr. Marc Maisch interessante Einblicke in das Thema Cyberkriminalität gibt.

Nach einem „Wake-Up-Call“ des Extrembergsteigers Thomas Bubendorfer steht der zweite Tag des Anwaltszukunftskongresses ganz im Zeichen praktischer Themen: In sieben frei wählbaren „Virtual Classrooms“ können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in kleinen Gruppen intensiv mit Themen wie Legal Tech in der Praxis, Recruiting, Markenführung, Predictive Analytics und Legal Design beschäftigen. Auch hier sorgen hochrangige Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis für fachkundigen Input.

Weitere Informationen und die Tickets für den Kongress gibt es  hier. Bis 15. September 2021 können die Tickets zum Frühbucherpreis von 99 Euro bzw. 119 Euro (inkl. Abendveranstaltung) erworben werden.
von Anke Stachow 2. Oktober 2020

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung auf dem Rechtsberatungsmarkt einen deutlichen Schub gebracht. So lautete das einhellige Fazit der Organisatoren und Referenten des 5. Anwaltszukunftskongresses, der am 1. Oktober 2020 aufgrund der Corona-Pandemie als digitale Fachkonferenz für Anwälte und Unternehmensjuristen stattfand.    

Mehr als 300 Teilnehmer verfolgten die Vorträge der Veranstaltung, die unter dem Motto „Neue Spieler, neue Regeln“ stand. Sie nutzten auch die Gelegenheit, sich über den Live-Chat an den Diskussionen zu beteiligen.

Die beiden Veranstalter, der Kanzleispezialist Soldan und Wolters Kluwer Deutschland, führender Anbieter von Fachinformationen, Software und Services im Bereich Recht, Wirtschaft und Steuern, hatten wie in den Vorjahren den Schwerpunkt auf praktikable Lösungsstrategien für die aktuellen Herausforderungen in Kanzleien und Rechtsabteilungen gelegt: So vermittelte der Digitalisierungsexperte Dr. Holger Schmidt in seiner Keynote einen Eindruck, wie Rechtsberatungsangebote der großen Online-Plattformen aussehen könnten. Vertreter von Allianz und ARAG berichteten von ihren Herausforderungen und Strategien bei Berufshaftpflicht und Rechtsschutzversicherungen. Spannend verlief auch die Podiumsdiskussion mit Vertretern der Legal Arms der großen internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Im Zentrum stand die Frage, wie sie ihren Vorsprung bei Legal Tech-Anwendungen in der Beratung ihrer Mandanten nutzen.

Soldan-Geschäftsführer René Dreske und Ralph Vonderstein, Geschäftsführer und Leiter des Geschäftsbereichs Legal Software bei Wolters Kluwer Deutschland, zeigten sich sehr zufrieden mit der Resonanz auf den ersten digitalen Anwaltszukunftskongress. „Obwohl es derzeit eine Fülle an digitalen Veranstaltungen gibt, konnten wir mit spannenden Themen und innovativen Formaten die Teilnehmer für unseren Kongress begeistern“, sagte Vonderstein. „Dazu gehören auch insgesamt drei Folgeveranstaltungen, die wir bewusst zeitlich entkoppelt haben“, ergänzte Dreske.

So findet am 15. Oktober 2020 ein interaktiver Workshop zum Thema „Simple Contracts: Wie sich mit Legal Design verständliche und nutzerzentrierte Verträge gestalten lassen“ statt. Am 5. und 19. November 2020 folgen zwei Videocasts. Darin geht es zum einen um die Entwicklung und Umsetzung von „Legal Ideen“ und zum anderen um die Rekrutierung von Talenten für die digitale Transformation.

von Anke Stachow 18. September 2020

Der Umbruch auf dem Rechtsberatungsmarkt eröffnet auch für Rechtschutzversicherungen neue Geschäftsideen. So hat die ARAG SE unter anderem das Tochterunternehmen Justix gegründet, das sich mit der IT-Entwicklung für innovative Lösungen beschäftigt. Katrin Unterberg, Geschäftsführerin der Justix GmbH in Köln und Abteilungsleiterin Corporate Development ARAG, wird auf dem digitalen Anwaltszukunftskongress am 1. Oktober über die nationalen und internationalen Legal Services des Konzerns berichten.

Weshalb ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass auch Rechtsschutzversicherer in innovative Geschäftsmodelle investieren?

Katrin Unterberg: Ziel der ARAG ist es seit jeher, den Bürgern Zugang zum Recht zu verschaffen. Das war schon die Idee unseres Gründers vor 85 Jahren. In den letzten 20 Jahren sehen wir eine deutliche Wandlung der Kundenbedürfnisse. Die Leute kaufen heute bei Online-Shops, wie z.B. Amazon ein und sind die hohe Convenience dieser Shops gewohnt. Viele erwarten bequeme, einfache  Online-Services auch in anderen Lebensbereichen. Wer möchte heute noch Briefe an einen Versicherungs-Sachbearbeiter schreiben? Darüber hinaus kommt Wettbewerb von Seiten der Rechtsberatungs-Anbieter im Internet. Wenn Verbraucher schnell und kostengünstig Rechtsrat zum Beispiel zu Miet- oder Bußgeldfragen online von kleinen Anbietern erhalten können, entsteht ein zusätzlicher Markt neben der klassischen Versicherungsleistung. Wir wollen hier frühzeitig Erfahrungen sammeln und entwickeln daher passgenaue Services auf die veränderten Kundenwünsche – nicht nur national, sondern auch auf unseren 18 internationalen Märkten.


Welche neuen Produkte außerhalb der Rechtsschutzversicherung gibt es bereits bei der ARAG?

Katrin Unterberg: Produkte komplett außerhalb der Rechtsschutzversicherung für den Endkunden bieten wir in den  Niederlanden an, wo wir unter der Marke „HelloLaw“ agieren. In den Niederlanden bietet HelloLaw Kunden die Möglichkeit, günstig an ihr Recht zu kommen. Für einen Jahresbeitrag von 79 Euro erhalten sie zum Beispiel kostenlose rechtliche Erstberatung und weitergehende Hilfe von Juristen, die bei der HelloLaw angestellt sind. Sie können auch anwaltliche Dienstleistungen  vergünstigt einkaufen. Dafür arbeiten wir mit einem Netzwerk von sorgfältig ausgewählten Anwälten zusammen. Die Regulierung in den Niederlanden ist deutlich liberaler als in Deutschland – hier können angestellte Rechtsanwälte Rechtsberatung erteilen.


Und wie sieht das Angebot von Hello Law in Deutschland aus?

Katrin Unterberg: In Deutschland haben wir unter dem Namen HelloLaw ein Pilotprojekt zur Rechtsanwaltsvermittlung, „Lawyer Matching“, gestartet. ARAG-Kunden und perspektivisch auch alle anderen Verbraucher,  können auf dieser Plattform ihr Rechtsproblem schildern. Ihnen werden dann drei passende Anwälte mit ihrem jeweiligen Profil vorgestellt. Auf diese Weise helfen wir den Rechtssuchenden, den idealen Anwalt  für ihr Problem zu finden und sie mit ihm zu verbinden.

 

Arbeitet die ARAG auch mit anderen Legal Tech-Plattformen zusammen?

Katrin Unterberg: Ja, wir arbeiten in Deutschland neben der Justix mit einigen Legal Tech-Start-ups zusammen. Dazu gehört zum Beispiel MINEKO Das Unternehmen überprüft für ARAG-Kunden kostenlos und innerhalb von 48 Stunden die Mietnebenkosten. Der Prozess läuft vollständig digital.

Darüber hinaus arbeiten wir mit einigen, digital affinen Rechtsanwaltskanzleien zu ganz punktuellen Rechtsthemen zusammen. Auch hier können Kunden online erste Schadenansprüche prüfen und ihren Fall übermitteln.


Müssen Sie nicht befürchten, dass Sie mit diesen Angeboten für Unmut in der Anwaltschaft sorgen?

Katrin Unterberg: Nein, das denken wir nicht. Zum Teil handelt es sich um Lösungsangebote für niederschwellige Rechtsfragen, mit denen unsere Kunden sehr wahrscheinlich ohnehin nicht zum Anwalt gegangen wären. Bei den anderen Angeboten setzen wir stark auf die Kooperation mit unseren Partneranwälten und wollen gemeinsam für den Kunden digitale, einfache Lösungen entwickeln. Wir stehen daher in engem Kontakt zu den Anwälten und suchen gemeinsam nach Ideen, unseren Kunden leistungsfähige  Lösungen anzubieten.

von Anke Stachow 4. September 2020

Plattformen sind seit rund einem Jahrzehnt auf dem Vormarsch. Sieben der zehn erfolgreichsten Unternehmen der Welt arbeiten inzwischen nach diesem Modell. Aber kann die Plattformökonomie auch auf dem Rechtsberatungsmarkt eine bedeutende Rolle einnehmen? Dieser Frage wird Dr. Holger Schmidt in seinem Vortrag auf dem digitalen Anwaltszukunftskongress am 1. Oktober 2020 nachgehen. Der Ökonom hat die digitale Revolution seit mehr als zwei Jahrzehnten eng begleitet und mehrere Bücher dazu geschrieben. Darüber hinaus lehrt er digitale Transformation an der TU Darmstadt.

Was versteht man eigentlich unter Plattformökonomie?

Dr. Holger Schmidt: Plattformen stellen Transaktionen zwischen externen Anbietern und den Nachfragern her. Sie übernehmen bei diesem Vorgang verschiedene Services, zum Beispiel die Zahlungsabwicklung. Dafür erhalten sie im Gegenzug einen Teil der Marge. Wir alle kennen Amazon oder Alibaba. Aber Plattformen gibt es inzwischen in nahezu jeder Branche.  

Warum sind Plattformen so erfolgreich?

Dr. Holger Schmidt: Plattformen nutzen Netzwerkeffekte, bauen Ecosysteme, sammeln die Daten der Akteure auf der Plattform und analysieren sie genau. Sie wissen daher sehr viel über deren Wünsche und Bedürfnisse. Daher können sie sehr gut einschätzen, wie sich Märkte entwickeln werden und sich darauf frühzeitig einstellen. Von diesen wertvollen Informationen profitieren auch die Hersteller.


Passt das Geschäftsmodell der Plattformen auch zum Rechtsberatungsmarkt?

Dr. Holger Schmidt: Auf den ersten Blick scheint die Rechtsberatung als individuelle Dienstleistung nicht zum Geschäftsmodell der Plattformen zu passen. Aber nicht jeder Rechtsrat ist individuell, es gibt auch standardisierte Rechtsprodukte. Die erste Generation der Plattformen im Rechtberatungsmarkt existiert schon eine ganze Weile und beschränkt sich auf das Vermitteln von Anwalt und Rechtssuchendem.

 
Wie könnten denn die Geschäftsmodelle der Zukunft aussehen?

Dr. Holger Schmidt: Verschiedene Modelle sind denkbar. Interessant könnte es sein, wenn verschiedene Dienstleistungen über die Plattform zu einem bestimmten Zweck zusammen angeboten werden. Nehmen wir als Beispiel den Service „Firmengründung“: Gesellschaftsrechtler, Steuerberater, vielleicht auch noch ein Spezialist für Markenrecht sind über die Plattform vernetzt und schnüren für den Firmengründer ein „Rundum-sorglos“-Paket.

 
Wie sehen die Rechtsberatungsangebote der großen Plattformen wie Amazon oder Alibaba aus?

Dr. Holger Schmidt: Die Angebote halten sich in Grenzen: Amazon vermittelt beispielsweise seinen Händlern einen Anwalt, wenn es um IP-Rechtsverstöße geht. Es handelt sich dabei um einen zusätzlichen Service, nicht aber um einen Plattformansatz für die Rechtsberatung. Bei Alibaba können Kunden die Dienste eines Anwalts buchen. Aber das Thema spielt bei den großen Plattformen bisher keine ernsthafte Rolle. Insoweit droht der klassischen Rechtsberatung von dieser Seite noch keine Gefahr.


Woher weht dann der Wind?

Dr. Holger Schmidt: Wettbewerb kommt zum Beispiel von Softwareanbietern. Sie bauen immer mehr Servicepakete um ihre ursprüngliche Dienstleistung herum. Dieses Vorgehen kennzeichnet auch die großen Plattformen: Sie dringen mit ihrem Know how, mit ihrem Wissen über den Kunden, in andere Bereiche vor. Denken Sie daran, Amazon hat nur mit Büchern angefangen!

Konkurrenz kommt auch von den großen Wirtschaftsprüfern, die in diese Richtung denken, oder Wissens- und Freelancer-Plattformen. Auf diesen Plattformen kann man sich ein Team aus Spezialisten und Freelancern für ein bestimmtes Projekt zusammenstellen. Dieses Geschäftsmodell hat durch Corona zusätzlichen Schwung erhalten. Diese Plattformen decken in begrenztem Umfang nun auch Rechtsberatung ab.

 
Wohin wird Ihrer Meinung nach die Reise hingehen?

Dr. Holger Schmidt: Die Entwicklungen im Rechtsberatungsmarkt stehen noch am Anfang, insbesondere in Europa. Das liegt daran, dass die digitale Transformation hier noch am Anfang steht. Sie wird aber auch für Disruption der bisherigen Strukturen sorgen.

 

 

von Anke Stachow 10. August 2020

Sie teilen mehr als die Hälfte des weltweiten Umsatzes in der Wirtschaftsprüfung unter sich auf: KPMG, PricewaterhouseCoopers (PWC), Ernst & Young (EY) und Deloitte. Auch auf dem Rechtsberatungsmarkt gewinnen die Aktivitäten ihrer Legal Arms an Bedeutung. Wie die „Big Four“ ihren technologischen Vorsprung in der Rechtsberatung nutzen, wird ein zentrales Thema der Podiumsdiskussion auf dem Anwaltszukunftskongress sein, der in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie am 1. Oktober 2020 erstmals virtuell stattfinden wird. Dr. Anette Schunder-Hartung, Rechtsanwältin und Beraterin für strategische Geschäftsentwicklung, wird diese Frage mit juristisch tätigen Vertretern von KPMG, PWC, EY und Deloitte diskutieren.

 
Was unterscheidet die Legal Arms der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften von den großen internationalen Wirtschaftskanzleien?

Dr. Anette Schunder-Hartung: Ein großer Unterschied liegt sicherlich in ihrer Organisationsstruktur. Die „Big Four“ sind vergleichsweise stärker vertikal, also hierarchischer, strukturiert. Der Weg in die Partnerschaft dauert länger, folglich gibt es  auch deutlich weniger Partner im Verhältnis zu den angestellten Anwälten. Weil sie weniger Leute mit ins Boot holen müssen, können die Verantwortlichen manches schneller entscheiden. Das ist gerade im Hinblick auf die Digitalisierung ein großer Vorteil, weil die Organisation dadurch handlungsfähiger ist. In den klassischen Anwaltskanzleien gibt es meistens viele Mitspracherechte und dadurch dauert die Entscheidung länger oder kommt überhaupt nicht zustande.

Gibt es auch Unterschiede in der Arbeitsweise?

Dr. Anette Schunder-Hartung: Die Legal Arms der „Big Four“ arbeiten unternehmensnäher und pragmatischer als der klassische Anwalt. Durch ihre Nähe zur Wirtschaftsprüfung und -beratung orientieren sie sich stärker an den Zahlen oder generell am Ergebnis. Das kann auf der einen Seite höheren Druck und geringere innere Unabhängigkeit bedeuten. Auf der anderen Seite kann es aber eben auch für besondere Unternehmensnähe im positiven Sinne – zum Beispiel besonders rasche praktikable Ergebnisse – sorgen.

 

In der Podiumsdiskussion werden Sie auf jeden Fall auch beleuchten, welche Rolle Legal Tech in der Rechtsberatung der „Big Four“ spielt. Sind sie weiter als ihre Wettbewerber in der klassischen Anwaltskanzlei und warum?

Dr. Anette Schunder-Hartung: Die Legal Arms der „Big Four“ profitieren von dem Wirtschaftsprüfungszweig, denn dort ist die Digitalisierung bereits viel weiter fortgeschritten und bereits selbstverständlich geworden. Zum anderen erzielen die Big Four im Vergleich zu den großen internationalen Wirtschaftskanzleien wesentlich höhere Umsätze; es stehen daher insgesamt ganz andere finanzielle Mittel zur Verfügung, soweit es zum Beispiel um weitergehende Studien zu Mandanteninteressen geht. Darauf – und auf das technische Know how – können die Legal Arms zurückgreifen. Das ist schon ein großer Vorteil.

 
Was sollten sich die klassischen Anwaltskanzleien von den Legal Arms der „Big Four“ abschauen?

Dr. Anette Schunder-Hartung: Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Rechtsberatung. Er wird durch die fortschreitende Digitalisierung beschleunigt, aber auch durch Covid 19. Wie die Pandemie die Arbeit verändert hat und noch verändern wird, werden wir auf dem Podium selbstverständlich auch diskutieren. Fest steht schon jetzt, dass der wirtschaftliche Druck in den Anwaltskanzleien weiter zunehmen wird. Das wird sich auf die Organisation auswirken. Anwaltskanzleien müssen wie echte wettbewerbsorientierte Unternehmen geführt werden, nicht mehr „wie eine Arztpraxis“. Wir Anwälte haben keine „kassenanwaltliche Vereinigung“, die uns die Rechtsverletzten ins Haus spült. Deshalb müssen wir alle lernen, vernünftig zu akquirieren und Kundenpflege zu leisten – und zwar systematisch und multimedial. In diesem Punkt können die Legal Arms der „Big Four“ durchaus als Vorbild dienen. Mit ihren pragmatisch handelnden Einheiten haben sie insofern im Moment einen Vorsprung.

S ehen Sie daneben auch Wettbewerbsnachteile?

Dr. Anette Schunder-Hartung: Pragmatismus und Kundennähe sind per se zweischneidige Schwerter – das haben die jüngsten Skandale um Wirecard & Co gezeigt. Die „Big Four“ müssen hier die Balance halten – auch ihre Anwälte sind Organe der Rechtspflege, auch ihre Kunden sind Mandanten. Es wird deshalb auch darum gehen müssen, wie hier der Spagat gelingt.

 

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